Agnes und seine Brüder
Drama, Deutschland 2004, 111 Minuten, ab 16
Originaltitel: Agnes und seine Brüder; Deutschlandstart: 14.10.2004 (X-Verleih); Regie: Oskar Roehler; Produktion: Stefan Arndt, Markus Brinkmann, Sebastian Fahr-Brix; Drehbuch: Oskar Roehler; Musik: Martin Todsharow; Kamera: Carl-Friedrich Koschnick; Schnitt: Juliane Lorenz

mit Martin Weiß (Agnes), Moritz Bleibtreu (Hans-Jörg), Herbert Knaup (Werner), Katja Riemann (Signe), Tom Schilling (Ralf), Susan Anbeh (Desiree), Vadim Glowna (Günther), Margit Carstensen (Roxy), Lee Daniel (Henry), Marie Zielcke (Nadine), Oliver Korittke (Rudi), Martin Semmelrogge (Manni Moneto), Martin Feifel (Hannes), Sven Martinek (Jürgen), Ralph Herforth (Heinz)

Filmplakat
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Die drei Brueder Hans-Jörg, Agnes und Werner. Hans-Jörg als Voyeur. Werner und Signe. Agnes als Tänzerin.

Hallo Signe! - Uh! Oh! Was hast du denn getrunken? - Bitte entschuldige mal, ich habe meinen Sieg gefeiert! Meinen Pyrrhussieg: Dosenpfand. Vielleicht das hässlichste Wort im deutschen Sprachgebrauch. ... Wie geht's denn dir, meine Schöne? ... Wie geht's denn deiner Dose, habe ich da noch Pfand drauf? - Mir ging's besser, bevor du mich angehaucht hast. Könntest du dir bitte die Zähne putzen? - Ja, ich gebe mir Mühe. Aber du hast wohl hoffentlich nichts dagegen, wenn ich nach 'nem harten erfolgreichen Arbeitstag 'was trinke, oder? - Sag mal, willst du dich mit mir streiten? - Nein. - Gut. - Aber gibt gewisse Dinge, über die sollten wir reden. - Ja dann rede, rede! - Es ist 'was passiert! - Wie, was? - Ralf hat mich heute morgen gefilmt! - Na und? Lass ihn doch! Er will doch auch schließlich Filmemacher werden. - Er hat mich beim Notdurftverrichten gefilmt! - Ha! Wie drückst du dich denn aus? - Na gut, dann hat er mich beim Scheißen gefilmt! Gefällt dir das besser? - Du bist ja auch selber schuld. Warum schließt du nicht ab? Ich finde das so widerlich, dass du bei offener Tür auf dem Klo sitzt. - Entschuldige, wer verdient denn hier das Geld? - Bitte, in welchem kausalen Zusammenhang steht jetzt dein Verdienst mit deinem Toilettenverhalten?. - Die Eheleute Werner und Signe.

Plot: Die drei Brüder Werner (Herbert Knaup), Hans-Jörg (Moritz Bleibtreu) und nicht zuletzt Agnes (Martin Weiß) leben jeder für sich ein unglückliches Leben: Einerseits Werner, ein aus den 1980er-Demonstrationen hervorgegangener Grünen-Politiker mit eigenem Chauffeur, der für das EU-Dosenpfand kämpft, privat aber in feudalem Wohlstand mit Frau Signe (Katja Riemann) lebt, seinen Müll nicht trennt, sich über die Hanf-Plantage seines videobegeisterten Sohnes Ralf (Tom Schilling) aufregt, und dessen Ehe langsam aber sicher in Wort und Tat auf den Abgrund zurast. An zweiter Stelle Hans-Jörg, der sexsüchtige Aushilfsbibliothekar, der in der Bibliothek den begehrenswerten Mädchen unter die Röcke schaut oder beim Spannen auf dem Damenklo masturbiert, der sich aber eigentlich nur nach einer Frau sehnt, die ihn liebt und die bei ihm bleibt, ohne ihn nur auszunutzen. Und als drittes Agnes, die vorher Martin hieß und schwul in New York lebte, sich dann für die Liebe ihres Lebens zur Geschlechtsumwandlung entschied, den Mann danach aber nie wieder sah, von ihrem jetzigen Freund Rudi (Oliver Korittke) vor die Tür gesetzt wird und danach bei einer älteren Frau Roxy (Margit Carstensen) unterkommt, mit der sie in Gesprächen ihre Vergangenheit aufarbeitet. Hans-Jörg jedoch beschuldigt ihren gemeinsamen Vater Günther (Vadim Glowna), der in einer prunkvollen 50er-Villa im Stile von Clockwork Orange mit einem Mann zusammenlebt, sich im Kindesalter an Martin/Agnes vergangen zu haben, und so die Entwicklungen verursacht zu haben, die auch in seine eigene sexuelle Verklemmtheit geführt haben, die ihn letztlich ins Porno-Milieu zu Manni Moneto (Martin Semmelrogge) treiben.

Kritik: Agnes und seine Brüder ist ein beklemmendes Psychogramm von drei abgrundtief unglücklichen Menschen. Rechnet man Vater Günther mit ein, sind es sogar vier. Der Kinozuschauer ist in einem Bann gefangen, der ihn vor die unmögliche Entscheidung stellt, welcher der Charaktere am verabscheuungswürdigsten ist oder welcher wiederum am ehesten Mitleid verdient.
Mancher Kritiker betitelt diesen Film als Sozialkomödie, doch neben einigen wenigen, subtil eingebrachten Situationen, in denen man unfreiwillig schmunzeln muss (beispielsweise Til Schweigers knapp 15 Sekunden langer Gastauftritt), kann ich in diesem Film keinerlei offensichtliche Komik finden. Die überzeichneten Lebensumstände der Protagonisten ergeben durch die mitunter schrille Karikatur durchaus Anlass zur Reflektion der eigenen Welt, in der man (hoffentlich) dieserlei Probleme nicht hat. Aber die Regie hat bei diesem Film nun mal nicht Loriot geführt, sondern Oskar Roehler mit seiner kompromisslosen und aufwühlenden Dramatik, seinem Mut zur Inszenierung radikaler Gefühle. Und so entsteht durch die Beleuchtung der jeweiligen Lebensumstände der Filmfiguren ein tiefgehendes Sozialdrama.
Dieser Herausforderung mussten sich Moritz Bleibtreu, Herbert Knaup, Katja Riemann und Newcomer Martin Weiß nebst allen anderen Nebendarstellern stellen. Keine Rolle ist schnell hingeschustert: Jede ist in ihrer persönlichen Dramatik auf den Punkt gespielt und bis in die verkörperten Klischees glaubwürdig. Während der Charakterentwicklung, trotz der mitunter spürbaren Längen im Film, wird man unweigerlich von der brennenden Neugier befallen, wohin das alles nur führen soll, und ob es für die drei Brüder dann eventuell doch halbwegs gut ausgehen wird. Das Resultat ist teilweise erwartungsgemäß, teilweise jedoch ganz und gar nicht - und es gibt auf jeden Fall kein schwarz/weiß-malerisches Happy-End.
Obwohl ich Agnes und seine Brüder letztlich leider nur wenig abgewinnen konnte, muss ich doch den Stil des Regisseurs und die Dramatik der Erzählung wertschätzen. Anges ist sicher nichts für das Massenpublikum, es besteht keinerlei Popcorn-Kompatibilität. Aber sicher ist, dass der Film sein Publikum finden wird - bzw. sein Publikum ihn. Wer nach dem kurzen Kinotrailer auf eine kurzweilige deutsche Komödie hofft, irrt sich gewaltig: Den Kinozuschauer erwartet ein schwer verdauliches Melodram, das auf seine Weise aber durchaus fesseln kann.

Fazit: Schwere, psychologische Kinokost aus Deutschen Landen, hochkarätig besetzt und dramatisch inszeniert. Nur etwas für den wirklich Interessierten. 7 von 10 Tassen deutschen Kaffee.

Gero Zahn
15.10.2004

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