Antichrist
Drama / Horror, Dänemark / Deutschland / Frankreich / Schweden / Italien / Polen 2009, 104 Minuten, ab 18, Prädikat: Besonders wertvoll
Originaltitel: Antichrist; Deutschlandstart: 10.09.2009 (MFA); Regie: Lars von Trier; Produktion: Bettina Brokemper, Madeleine Ekman u.a.; Drehbuch: Lars von Trier; Kamera: Anthony Dod Mantle; Schnitt: Åsa Mossberg, Anders Refn

mit Willem Dafoe (Er), Charlotte Gainsbourg (Sie) u.a.

Filmplakat
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Wenn du mir nicht sagen kannst, wovor du Angst hast, dann fällt's dir vielleicht leichter, mir zu sagen, wo du Angst hast. Wo fühlst du dich am meisten ausgeliefert? Was wär für dich der schlimmste Ort? - Er versucht seine Frau zu therapieren.

Plot: Ein namenloses Paar (gespielt von Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe) gibt sich einem ekstatischen Liebesakt hin, während ihr kleiner Sohn unbemerkt aus seinem Bett klettert, durch die Wohnung stolziert, seinen Eltern eine Weile zuschaut – Freud, ich hör dir tapsen – und dann auf den Fenstersims klettert, um zeitgleich mit dem elterlichen Orgasmus – eine klassische Parallelmontage – in die Tiefe und den Tod zu stürzen. Das alles in kristallklarem Schwarz-Weiß und Super-Zeitlupe, untermalt von Händels Arienklängen.
Nach diesem Prolog breitet Antichrist, unterteilt in die vier Kapitel „Trauer“, „Schmerz“, „Verzweiflung“ und „Die drei Bettler“, die zunehmend in Chaos und blutigen Geschlechterkampf ausartende Beziehung zwischen Mann und Frau aus. Da der Protagonist ein ziemlich hochmütiger Psychoanalytiker ist, beschließt er, seine Frau entgegen allen Regeln des Berufsstandes selbst zu therapieren, und zwar am Ort ihrer größten Ängste, dem im tiefen Wald gelegenen Rückzugsort namens „Eden“, eine Holzhütte fernab der Zivilisation. Jeder Zuschauer, der sich mit Märchen oder Horror-Plots auskennt, ahnt bereits, welch miese Idee das ist. Die Natur verbreitet in Antichrist keinen romantischen Zauber, sie begegnet den Eindringlingen im Gegenteil äußerst feindselig – Eicheln prasseln unaufhörlich auf das Holzdach, Blutegel bedienen sich des Nachts, die Bäume wiegen sich bedrohlich, Szenen grotesker Grausamkeit spielen sich ab.
Die Therapie, an deren Erfolg der Mann so lange glaubt, bis es zu spät ist, steht im wahrsten Sinne unter einem bösen Stern. Übernatürliche Dinge gehen vor sich, die Frau, die im Übrigen bis vor kurzem in eine Dissertation über die Hexenprozesse des Mittelalters vertieft war, verwandelt sich in eine dämonische Furie, und es beginnt eine blutige Konfrontation um Leben und Tod.

Kritik: Das ist also Lars von Triers neues Werk, das seit seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes (wo es neben dem Darstellerinnenpreis für Charlotte Gainsbourg zusätzlich noch den „Anti-Preis“ der Ökumenischen Jury gab) die Gemüter erhitzte und die Kritiker spaltete wie lange kein Film vor ihm. Das sensationsgeile Etikett des „Skandalfilms“ hat sich Antichrist wahrscheinlich vor allem durch die teils exzessive Gewalt und die für manche Kritiker frauenfeindliche Aussage verdient.

Tatsächlich ist die von Gainsbourg eindrucksvoll gespielte Figur am Ende eine wahre Rachegöttin, die dem Mann einen Mühlstein durch das Bein bohrt (!) und sich selbst genital verstümmelt. Starker Tobak, aber abgesehen von diesen künstlich skandalisierten Szenen ist Antichrist doch ein überraschend banaler, ja streckenweise ziemlich öder Film geworden.
Das liegt nicht zuletzt an seinem aufgeblasenen Kunstfilm-Gestus, an seiner Pseudo-Tiefgründigkeit, die den Film mit aller Macht über das Niveau klassischer Genrefilme aus Hollywood heben soll. Dafür ist Antichrist jedoch zum einen viel zu schematisch und aufgesetzt in seinem holzhammerartig präsentierten Spiel mit den großen Gegensatzpaaren „Mann-Frau“, „Ratio-Chaos“ oder „Zivilisation-Natur“, die er beständig gegeneinander ausspielt, als habe es vor ihm nicht schon tausende Filme gegeben, die darüber hinaus auch tatsächlich etwas gehaltvolles dazu zu sagen hatten.
Zum anderen hat von Trier seinen Film symbolisch arg überfrachtet, was schon im unsäglich prätentiösen Prolog seinen Anfang nimmt. Ein bisschen Sigmund Freud, die Urszene des die Eltern beim Sex beobachtenden Kindes, die Verknüpfung von Sexualität und Sündenfall, eine Holzhütte namens Eden, das Scheitern von Vernunft im Angesicht der indifferenten Natur, das männliche versus das weibliche Prinzip. Bombast und große Themen, wohin man schaut, doch hinter dem beinahe grotesk feierlichen Gestus des Inszenierung lauert die ernüchternde Banalität einer Story, die abseits von Provokation und krudem Delirieren über die „böse Natur der Frau“ im Grunde rein gar nichts zu sagen hat. Obwohl, der Film hat durchaus seine Qualitäten. Bilder von Intensität und Schönheit, zum Beispiel eine hübsch dargebotene, albtraumhafte Sexszene auf einem skelettartigen Astgewirr, aus dem sich – ziemlich creepy – lauter nackte Arme winden. Darüber hinaus gibt es auch eine ganze Reihe altbekannter Genre-Mittel wie blitzschnell eingefügte Fratzengesichter, effektvolle Ton-Spielereien und suggestive Kamerafahrten, die zwar nicht sonderlich innovativ, aber durchaus gekonnt inszeniert sind.
Aber genau da liegt das Problem: Antichrist ist ein Film der großen Geste, des vordergründigen Effekts, der hinter der prätentiös aufgemotzten Fassade einen ziemlichen Nonsens verzapft. Charlotte Gainsbourg, die sich gewissermaßen den Teufel in den Leib spielt, und den charismatischen Willem Dafoe trifft dabei keine Schuld- sie spielen so, als kämen sie aus einem anderen, weitaus besseren Film.

Fazit: Viel Lärm um (fast) Nichts - kruder Natur-Schocker mit grandiosen Darstellern, aber wenig Substanz: 4 von 10 cineastischen Mühlsteinen am Bein des gequälten Zuschauers!

Dominik Rose
12.09.2009

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