Wenn
du mir nicht sagen kannst, wovor du Angst hast, dann fällt's dir
vielleicht leichter, mir zu sagen, wo du Angst hast. Wo fühlst
du dich am meisten ausgeliefert? Was wär für dich der schlimmste
Ort? - Er versucht seine Frau zu therapieren.
Plot:
Ein namenloses Paar (gespielt von Charlotte Gainsbourg und Willem Dafoe)
gibt sich einem ekstatischen Liebesakt hin, während ihr kleiner
Sohn unbemerkt aus seinem Bett klettert, durch die Wohnung stolziert,
seinen Eltern eine Weile zuschaut – Freud, ich hör dir tapsen
– und dann auf den Fenstersims klettert, um zeitgleich mit dem
elterlichen Orgasmus – eine klassische Parallelmontage –
in die Tiefe und den Tod zu stürzen. Das alles in kristallklarem
Schwarz-Weiß und Super-Zeitlupe, untermalt von Händels Arienklängen.
Nach diesem Prolog breitet Antichrist, unterteilt in die vier
Kapitel „Trauer“, „Schmerz“, „Verzweiflung“
und „Die drei Bettler“, die zunehmend in Chaos und blutigen
Geschlechterkampf ausartende Beziehung zwischen Mann und Frau aus. Da
der Protagonist ein ziemlich hochmütiger Psychoanalytiker ist,
beschließt er, seine Frau entgegen allen Regeln des Berufsstandes
selbst zu therapieren, und zwar am Ort ihrer größten Ängste,
dem im tiefen Wald gelegenen Rückzugsort namens „Eden“,
eine Holzhütte fernab der Zivilisation. Jeder Zuschauer, der sich
mit Märchen oder Horror-Plots auskennt, ahnt bereits, welch miese
Idee das ist. Die Natur verbreitet in Antichrist keinen romantischen
Zauber, sie begegnet den Eindringlingen im Gegenteil äußerst
feindselig – Eicheln prasseln unaufhörlich auf das Holzdach,
Blutegel bedienen sich des Nachts, die Bäume wiegen sich bedrohlich,
Szenen grotesker Grausamkeit spielen sich ab.
Die Therapie, an deren Erfolg der Mann so lange glaubt, bis es zu spät
ist, steht im wahrsten Sinne unter einem bösen Stern. Übernatürliche
Dinge gehen vor sich, die Frau, die im Übrigen bis vor kurzem in
eine Dissertation über die Hexenprozesse des Mittelalters vertieft
war, verwandelt sich in eine dämonische Furie, und es beginnt eine
blutige Konfrontation um Leben und Tod.
Kritik:
Das ist also Lars von Triers neues Werk,
das seit seiner Premiere bei den Filmfestspielen in Cannes (wo es neben
dem Darstellerinnenpreis für Charlotte Gainsbourg zusätzlich
noch den „Anti-Preis“ der Ökumenischen Jury gab) die
Gemüter erhitzte und die Kritiker spaltete wie lange kein Film
vor ihm. Das sensationsgeile Etikett des „Skandalfilms“
hat sich Antichrist wahrscheinlich vor allem durch die teils
exzessive Gewalt und die für manche Kritiker frauenfeindliche Aussage
verdient.
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Tatsächlich
ist die von Gainsbourg eindrucksvoll gespielte Figur am Ende eine wahre
Rachegöttin, die dem Mann einen Mühlstein durch das Bein bohrt
(!) und sich selbst genital verstümmelt. Starker Tobak, aber abgesehen
von diesen künstlich skandalisierten Szenen ist Antichrist
doch ein überraschend banaler, ja streckenweise ziemlich öder
Film geworden.
Das liegt nicht zuletzt an seinem aufgeblasenen Kunstfilm-Gestus,
an seiner Pseudo-Tiefgründigkeit, die den Film mit aller Macht
über das Niveau klassischer Genrefilme aus Hollywood heben soll.
Dafür ist Antichrist jedoch zum einen viel zu schematisch
und aufgesetzt in seinem holzhammerartig präsentierten Spiel mit
den großen Gegensatzpaaren „Mann-Frau“, „Ratio-Chaos“
oder „Zivilisation-Natur“, die er beständig gegeneinander
ausspielt, als habe es vor ihm nicht schon tausende Filme gegeben, die
darüber hinaus auch tatsächlich etwas gehaltvolles dazu zu
sagen hatten.
Zum anderen hat von Trier seinen Film symbolisch arg überfrachtet,
was schon im unsäglich prätentiösen Prolog seinen Anfang
nimmt. Ein bisschen Sigmund Freud, die Urszene des die Eltern beim Sex
beobachtenden Kindes, die Verknüpfung von Sexualität und Sündenfall,
eine Holzhütte namens Eden, das Scheitern von Vernunft im Angesicht
der indifferenten Natur, das männliche versus das weibliche Prinzip.
Bombast und große Themen, wohin man schaut, doch hinter dem beinahe
grotesk feierlichen Gestus des Inszenierung lauert die ernüchternde
Banalität einer Story, die abseits von Provokation und krudem Delirieren
über die „böse Natur der Frau“ im Grunde rein
gar nichts zu sagen hat. Obwohl, der Film hat durchaus seine Qualitäten.
Bilder von Intensität und Schönheit, zum Beispiel eine hübsch
dargebotene, albtraumhafte Sexszene auf einem skelettartigen Astgewirr,
aus dem sich – ziemlich creepy – lauter nackte Arme winden.
Darüber hinaus gibt es auch eine ganze Reihe altbekannter Genre-Mittel
wie blitzschnell eingefügte Fratzengesichter, effektvolle Ton-Spielereien
und suggestive Kamerafahrten, die zwar nicht sonderlich innovativ, aber
durchaus gekonnt inszeniert sind.
Aber genau da liegt das Problem: Antichrist ist ein Film der
großen Geste, des vordergründigen Effekts, der hinter der
prätentiös aufgemotzten Fassade einen ziemlichen Nonsens verzapft.
Charlotte Gainsbourg, die sich gewissermaßen den Teufel in den
Leib spielt, und den charismatischen Willem Dafoe trifft dabei keine
Schuld- sie spielen so, als kämen sie aus einem anderen, weitaus
besseren Film.
Fazit: Viel
Lärm um (fast) Nichts - kruder Natur-Schocker mit grandiosen Darstellern,
aber wenig Substanz: 4 von 10 cineastischen Mühlsteinen
am Bein des gequälten Zuschauers!
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