Der Vorleser
Drama/Romanze, USA/Deutschland 2008, 122 Minuten, ab 12
Originaltitel: The Reader; Deutschlandstart: 26.02.2009 (Senator); Regie: Stephen Daldry; Produktion: Jason Blum, Donna Gigliotti u.a.; Drehbuch: David Hare nach dem Roman von Bernhard Schlink; Musik: Nico Muhly; Kamera: Roger Deakins, Chris Menges; Schnitt: Claire Simpson

mit Ralph Fiennes (Michael Berg), Jeanette Hain (Brigitte), David Kross (der junge Michael Berg), Kate Winslet (Hanna Schmitz), Susanne Lothar (Carla Berg), Alissa Wilms (Emily Berg), Florian Bartholomäi (Thomas Berg), Friederike Becht (Angela Berg), Matthias Habich (Peter Berg), Frieder Venus (Doktor), Marie-Anne Fliegel (Hannas Nachbar), Rainer Sellien (Lehrer), Moritz Grove (Holger) u.a.

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'Lady Chatterley fühlte, wie sich sein nacktes Fleisch gegen sie presste, als er in sie eindrang. Einen Augenblick blieb er ganz still in ihr...' - Das ist ja widerlich. Wo hast du das denn her? - Jemand in der Schule hat's mir geliehen. - Also... du solltest dich wirklich was schämen. ... Lies weiter... - Michael, Hanna und Lady Chatterley in der Badewanne.

Plot: Der fünfzehnjährige Michael Berg (David Kross) beginnt in einer deutschen Kleinstadt des Jahres 1958 eine gefährliche Liebschaft mit der geheimnisvollen, gut zwanzig Jahre älteren Straßenbahn-Schaffnerin Hannah Schmitz (Oscar für Kate Winslet). Die nachmittäglichen Schäferstunden in Hannahs Wohnung werden von einem besonderen, quasi prä-koitalen Ritual eingeleitet: Bevor es zur Sache geht, liest der Schüler seiner älteren Geliebten aus den Klassikern der Literatur vor. Kaum ist der Sommer vorüber, endet die Affäre ebenso abrupt, wie sie begann: Von einem Tag auf den nächsten ist Hannah verschwunden, ihre Wohnung verwaist. Etwa acht Jahre darauf sieht Michael, inzwischen Jura-Student, seine Jugendliebe im Rahmen einer Exkursion seines Seminars zu den Kriegsverbrecher-Prozessen wieder. Zu seinem Entsetzen ist Hannah angeklagt, als ehemalige KZ-Wärterin am Tod von mehreren hundert jüdischen Häftlingen mitverantwortlich zu sein.
In der dritten Zeitebene sehen wir den inzwischen arg melancholischen Staatsanwalt Michael Berg (mit schwerer Leidensmine: Ralph Fiennes) im Berlin der neunziger Jahre, wo er mit den Scherben seines komplizierten Lebens klarzukommen versucht. Die Erinnerung an Hannah Schmitz erweist sich als ebenso hartnäckig wie schmerzhaft.

Kritik: Auf den ersten Blick hat Der Vorleser natürlich alles, was einen skandalträchtigen und aufregenden Film ausmachen kann: eine tragische l´amour fou zwischen einem noch grünen Schuljungen und einer sexy Mittdreißigerin, die eine düstere Vergangenheit zu verbergen hat. Mehrdeutige Blicke zwischen Tür und Angel, ausgelassene Bett- und Badespiele, Heimlichtuereien und Geheimnisse, moralische Abgründe hinter der erotisch aufgeladenen Zweisamkeit – die aufregende Intimität eines Sommers in der Kleinstadt.
Ganz so elegant und luftig, wie sich das liest, ist das natürlich nicht umgesetzt. Die kunstvollen Bilder, die dem deutschen Spießermief der fünfziger Jahre eine erträgliche Note abgewinnen, sind vielleicht einen Tick zu vornehm-britisch und erlesen, um das Potential an Verruchtheit auszureizen, das in der recht spekulativen Geschichte steckt. Kate Winslet gibt eindrucksvoll die bäuerlich-derbe, undurchsichtige Schönheit und David Kross macht seine Sache als Jüngling zwischen zaghafter Schüchternheit und sexueller Erkundungsfreude ebenfalls außerordentlich gut.


Spätestens, wenn der Film in seinem zweiten Akt überleitet zu den Auschwitz-Prozessen der sechziger Jahre, versinkt die Geschichte jedoch – ebenso wie schon die Romanvorlage von Bernhard Schlink – unter der bleischweren Last der deutschen Geschichte, die sie sich eigentlich dramaturgisch hatte zunutze machen wollen. Was folgt sind langwierige Gerichtssitzungen, ein synonym für den Zuschauer leidender Michael Berg auf der Zuhörerbank, gediegenes Schuld & Sühne- Kino, das an akademischer Behäbigkeit und moralisch-juristischen Überlegungen erstickt.
Vielleicht hätte sich Regisseur Stephen Daldry nicht derart sklavisch an die literarische Vorlage halten sollen, die er tatsächlich Seite für Seite in hübsch fotografierte Bilder überträgt. Dann hätte er sich auch den ziemlich kruden inhaltlichen Gimmick sparen können, den Schlink in seinem Roman genussvoll selbstmitleidig ausspielt: <spoiler>Indem er Hannah Schmitz zur Analphabetin erklärt, macht er die skrupellose KZ-Wärterin quasi zu einem Opfer der Historie.</spoiler> Fast entschuldigend ist eine Sequenz eingefügt, in der Michael Berg in effektvoll ausgeleuchteten Bildern durch die Baracke eines ehemaligen Nazi-Gefangenenlagers schreitet – wirklich erschüternd ist das allerdings nicht, da es einigermaßen aus dem Zusammenhang fällt. Dass die zu einem langjährigen Gefängnisaufenthalt verurteilte Hannah schließlich lesen lernt und durch die tiefgehende Auseinandersetzung mit den Kanon-Werken der Weltliteratur doch so etwas wie eine moralische Verantwortung für ihre Taten entwickeln kann, ist ein weiterer unglaubwürdiger Kniff der Geschichte.
Was soll uns das sagen? In ganz schlimmen Fällen helfen also Novalis und Homer? Eine idiotisch naive Botschaft. Tatsächlich ist es kein Zufall, dass es vor allem die bürgerlichen Literaturklassiker sind, die der junge Held seiner Geliebten vorliest. Novalis als führender Vertreter der Aufklärung, die der Barbarei der Vorzeit den moralischen Gewinn durch Bildung und Literatur entgegen hält. Die beinahe exzessiven Bade- und Waschszenen des Liebespaares verweisen natürlich auf den Aspekt der Reinwaschung vom moralischen Schmutz der Vergangenheit. Das ist alles leider ebenso simpel wie offensichtlich.
Bisweilen berührt Der Vorleser auch, was den bis in die Nebenrollen starken darstellerischen Leistungen (etwa Lena Olin als jüdische KZ-Überlebende) und der routiniert ihre dramaturgischen Mittel ausspielenden Inszenierung verdankt ist – aber es bleibt bei all der Dramatik und den bitter vergossenen Tränen stets ein fader Beigeschmack. Zu manipulativ spielt die Geschichte den historischen Kontext aus, zu verkrampft ist sie zugleich darum bemüht, der Verantwortung und Bürde der Holocaust-Thematik gerecht zu werden, und scheitert dabei auf einem teils hohen filmischen Niveau an der eigenen Banalität.

Fazit: Geschmäcklerisch-biedere Literaturverfilmung mit allzu simpler Botschaft, die unter der Last ihres historischen Themas mühsam ächzt: 5 von 10 Nachmittage in der Badewanne!

Dominik Rose
01.03.2009

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