Das weiße Band - Eine deutsche Kindergeschichte
Drama / Krimi, Österreich / Deutschland / Frankreich 2009, 144 Minuten, ab 12, Prädikat: Besonders wertvoll
Originaltitel: Das weiße Band; Deutschlandstart: 15.10.2009 (X-Verleih); Regie: Michael Haneke; Produktion: Stefan Arndt, Veit Heiduschka u.a.; Drehbuch: Michael Haneke; Kamera: Christian Berger; Schnitt: Monika Willi

mit Christian Friedel (Lehrer), Ulrich Tukur (Baron), Burghart Klaußer (Pfarrer), Josef Bierbichler (Gutsverwalter), Susanne Lothar (Hebamme), Rainer Bock (Arzt), Leonie Benesch (Eva), Sebastian Hülk (Max) u.a.

Filmplakat
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Trailer ()
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Die Dorfbewohner bringen die Ernte ein.
Die Dorfgemeinde lauscht dem Kirchenchor. Im Dorf geschehen seltsame Dinge. Wütend verwüstet Max das Feld des Barons.

Das weiße Band wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und geht bei der kommenden Oscar-Verleihung als deutscher Beitrag ins Rennen..

Plot: Irgendwo in Norddeutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs: Strenge Regeln und post-feudale Strukturen beherrschen eine Dorfgemeinschaft, die noch gar nicht so recht im 20. Jahrhundert angekommen zu sein scheint. Die bäuerliche Bevölkerung ist ökonomisch abhängig vom Baron (Ulrich Tukur) und über das seelische Heil wacht der protestantische Pfarrer (eindrucksvoll: Burghart Klaussner), der auch in der eigenen Familie ein unerbittliches Regiment führt: Abendliche Verspätungen der Kinder werden mit Stockschlägen bestraft und insbesondere moralische Verfehlungen werden mit demütigender Strenge verfolgt: Die ältesten Kinder müssen zum Zeichen ihrer verloren gegangenen Reinheit und Unschuld ein weißes Band um den Arm tragen, der Sohn wird als Maßnahme gegen die „teuflische“ Masturbation jede Nacht an den Händen gefesselt.
Als der Landarzt (Rainer Bock) bei einem sabotierten Reitunfall über ein zwischen zwei Bäumen gespanntes Drahtseil stürzt und sich schwer verletzt, nimmt eine rätselhafte Aneinander-reihung von seltsamen Unglücksfällen und Anschlägen ihren Lauf, die bald den Charakter einer rituellen gesellschaftlichen Bestrafung annehmen. Eine Bauersfrau stürzt bei der Arbeit durch die beschädigten Holzplanken einer Scheune und stirbt, der kleine Sohn des Barons wird im Anschluss an das Erntedankfest bewusstlos und schwer misshandelt aufgefunden, ein Haus brennt nachts hernieder und der geistig behinderte Arztsohn wird fast zu Tode geprügelt. Das Dorf ist von einer unterschwelligen Angst ergriffen. Lediglich der Dorflehrer (Christian Friedel) scheint eine Ahnung zu haben, wer hinter dem anonymen Terror steckt.

Kritik: Das weiße Band ist, obgleich die bloße Story dergleichen vermuten lässt, alles andere als ein klassischer Who done it- Thriller. Die Frage nach den Urhebern der Anschläge ist durch diverse Anspielungen, etwa durch den im Off gesprochenen Kommentar des Lehrers, der das Geschehen aus der Rückschau einiger Jahrzehnte nacherzählt, relativ früh geklärt, auch wenn Regisseur Michael Haneke nach der für ihn typischen Art (siehe etwa Caché oder Die Klavierspielerin) auf eine klassische Auflösung der Handlung verzichtet.

Die Qualität des Films liegt also nicht in einer kriminalistischen Tätersuche begründet, sondern in dem faszinierenden Gesellschaftsporträt, das Haneke in klaren, nahezu puristisch reduzierten Bildern ausbreitet, die in ihrer Strenge gleichsam die rigide protestantische Ordnung des Dorfes reflektieren. Nach und nach werden die Familienverhältnisse des feudalen Gutsherrn, des in Selbstgerechtigkeit erstarrten Pfarrers, des inzestuös veranlagten Arztes oder des verwitweten Bauers porträtiert – ein Querschnitt durch eine patriarchale Gemeinschaft, in der alltägliche Formen der Unterdrückung Rachegelüste und Hass produzieren. Da ist die sich anbahnende Liebe des jungen Lehrers zum schüchternen Hausmädchen Eva (Leonie Benesch) ein vereinzelter Hoffnungsschimmer in einer durch und durch ergrauten Welt.
Sieht man den Film ohne jede Vorkenntnis, könnte man ihn, zumal in Schwarzweiß gedreht, glatt für einen Klassiker aus den fünfziger oder sechziger Jahren halten. Wer sich mit den Filmen von Ingmar Bergman auskennt (rein thematisch steht ihm Fanny und Alexander beispielsweise nahe) oder einmal ein Werk des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer gesehen hat (vor allem sein um religiöse Fragen kreisender Streifen Das Wort), kennt die künstlerischen Vorbilder, denen Das weiße Band offensichtlich nacheifert. Der Film verbreitet in seiner auf das Wesentliche reduzierten Erzählweise eine nahezu gespenstische Ruhe, in der kein Schnitt zuviel gesetzt und kein Wort zu viel gesprochen wird. Liebhabern opulenter Filmkunst ist Das weiße Band also nicht zu empfehlen. Dabei wäre es sehr schade, sich nicht auf den Film einzulassen, denn er erzeugt gerade in seiner formalen Zurückgenommenheit eine Sogwirkung, die den Zuschauer in ihren Bann zieht und noch lange nachwirkt. Daran haben auch die fantastischen Kinder-Darsteller einen großen Anteil, die Haneke aus über 7000 Kandidaten gecastet hat.
Wenn ich doch einen Einwand gegen Das weiße Band habe, dann hängt er mit der gleichnishaften Erzählweise zusammen. Haneke reicht das packende Porträt einer Dorfgemeinschaft allein offenbar nicht aus, das Geschehen muss als Parabel in seiner Bedeutung überhöht werden. Zwar ist an der These, dass aus unterdrückten Kindern spätere Unterdrücker werden können, sicher grundsätzlich nichts falsches, doch als gesellschaftlicher Befund für das spätere Aufkommen des Nationalsozialismus greifen körperliche Züchtigung und sexuelle Unterdrückung zu kurz.

Fazit: Beklemmende Gesellschaftsstudie, die in ihrer formalen Strenge an Ingmar Bergman und Carl Theodor Dreyer erinnert: 8,5 von 10 „Versündigungen an den empfindlichsten Nervensträngen des Körpers“!

Domink Rose
14.10.2009

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Leser-Kommentare:
Dominik (03.12.09): Ich hab ihn in Stuttgart gesehen, aber hoffentlich erbarmt sich auch noch ein Paderborner Kino? ;-)
morten (27.11.09): ja toll...und wann und wo läuft der Film??? Sollte man vlt. mit dazu schreiben!
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