Jung & schön
Drama, Frankreich 2013, 95 Minuten, ab 16
Originaltitel: Jeune & jolie; Deutschlandstart: 14.11.2013 (Weltkino Filmverleih); Regie: François Ozon; Produktion: Eric Altmayer, Nicolas Altmayer; Drehbuch: François Ozon; Musik: Philippe Rombi; Kamera: Pascal Marti; Schnitt: Laure Gardette

mit Marine Vacth (Isabelle), Géraldine Pailhas (Sylvie), Frédéric Pierrot (Patrick), Fantin Ravat (Victor), Johan Leysen (Georges), Charlotte Rampling (Alice), Nathalie Richard (Véro), Djedje Apali (Peter), Lucas Prisor (Felix) u.a.

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In dem Moment hab ich fast nichts gefühlt. Aber wenn ich später daran zurück dachte, zuhause oder in der Schule, dann hatte ich Lust, es wieder zu tun. - Isabelle über ihre Motivation.

Plot: Die junge (und nicht zu vergessen: schöne) Isabelle (Marine Vacth) verliert während eines Familienurlaubs in Südfrankreich kurz vor ihrem 17. Geburtstag ihre Unschuld an einen deutschen Flirt, ein Erlebnis, das sie der romantischen Umstände zum Trotz – nachts am Strand, nach dem gemeinsamen Genuss von Eiscreme – einigermaßen ernüchtert zurücklässt. Auf die Frage des neugierigen kleinen Bruders, ob es denn schön gewesen sei, entgegnet sie kurz angebunden: Nein. Zurück in Paris, entschließt sich Isabelle, als Prostituierte zu arbeiten. Sie inseriert auf einer Website, legt sich ein Geschäftshandy zu und verabredet sich per SMS mit interessierten Männern – in der Mehrzahl gutsituierte ältere Herren – in Hotelzimmern, für mehrere hundert Euro pro Stunde.
Dabei mangelt es Isabelle gar nicht an Geld, sie lebt in gutbürgerlichen Verhältnissen, hat einen stabilen Freundeskreis und unter ihren Mitschülern auch mindestens einen heimlichen Verehrer. Doch an den Nachmittagen nach der Schule zieht es sie immer wieder in die anonymen Hotelzimmer zu den fremden Männern. Den stetig anwachsenden Verdienst versteckt sie weit hinten im Kleiderschrank, und auch sonst erzählt sie niemandem, auch nicht ihrer besten Freundin Claire, von ihren sexuellen Eskapaden. Doch bald kommt es bei einem der Treffen zu einem tragischen Zwischenfall – und Isabelles Geheimnis fliegt auf. Während der Stiefvater (Frédéric Pierrot) die Angelegenheit mit einem Achselzucken („Nicht verwunderlich, so hübsch wie sie ist!“) aufnimmt, ist Mutter Sylvie (Géraldine Pailhas) tief schockiert. Ein Psychiater soll eingeschaltet werden, um Isabelles Verderbtheit auf den Grund zu gehen.

Kritik: Auf den ersten Blick bietet sich – wenn man die Handlung mal grob überschlägt – ein Vergleich zu Luis Bunuels Klassiker Belle de Jour an, in dem Catherine Deneuve als bourgeoise Ehefrau aus den strengen Konventionen ihres zu gepflegter Langeweile erstarrten Ehelebens ausbricht und als Prostituierte in einem Bordell Erfüllung findet.
Bei Jung & schön und seiner jungen Protagonistin verhält es sich jedoch anders: Isabelles Familie gehört zwar ebenfalls einem gutsituierten Milieu an, aber das Familienleben ist keineswegs repressiv oder besonders sittenstreng, die Eltern gönnen sich im Urlaub gern mal einen Joint und haben auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ihre jugendliche Tochter sich mit gleichaltrigen Jungs trifft.

So bleibt Isabelles radikaler Schritt, sich als Prostituierte zu versuchen, einigermaßen rätselhaft – denn eine besondere Lust bereitet ihr der Sex mit ihren Freiern nicht.
Es ist eine große Stärke von Francois Ozons neuem Film, dass er die Motivation seiner Hauptfigur nicht bis ins Letzte psychologisch ausleuchtet, sondern Raum lässt für Interpretationen und darüber hinaus ein unterschwelliges Gefühl von Bedrohung vermittelt, das sich in der verletzlichen Isabelle manifestiert und in den langen düsteren Hotelfluren seine äußerliche Entsprechung findet.
Jung & schön ist – ähnlich wie die meisten anderen Filme seines Regisseurs – ziemlich sexy und verführerisch, was aber gar nicht in erster Linie an der aparten Marine Vacth liegt, die mit wenigen Blicken die ganze Konfusion eines sexuell orientierungslosen Teenagers vermitteln kann, sondern an der eleganten Kameraarbeit, der souveränen Abgeklärtheit, mit der Ozon eine eigentlich recht einfache Geschichte so doppelbödig erzählt, mit dem Sinn für subtile Beobachtungen und feinen inszenatorischen Kniffen. So ist die Geschichte beispielsweise in vier Abschnitte, angelehnt an die vier Jahreszeiten, unterteilt: Die sommerlich-überhitzte Entjungferung, Herbst und Winter der geschäftsmäßig unterkühlten Prostitution und der Frühling eines möglichen Erwachens, einer Neuorientierung im Leben, die aber so einfach und eindeutig dann doch – zum Glück – nicht ausfällt.
Als musikalische Untermalung dienen vier Chansons von Francoise Hardy, deren schlagerartigen Texte in ihrer Schlichtheit zunächst vielleicht eine ironische Distanzierung zur Handlung andeuten, aber Ozon macht sich weder über die ja doch recht gefährlichen Abenteuer seiner Heldin lustig, noch lässt er sich zu einer moralischen Verurteilung herab. Jung & schön ist bei aller Eleganz und Sinnlichkeit seiner Inszenierung vor allem ein Film über die existentielle Leere und die beharrliche Suche nach Nähe und Intimität.

Fazit: Feinfühlige Studie einer jungen Frau auf Abwegen, sexy inszeniert und am Ende etwas geheimnisvoll, mit einer starken Marine Vacth in der Hauptrolle: 8,5 von 10 diskrete sexuelle Eskapaden!

Dominik Rose
03.10.2013

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