Golden Lemons
Dokumentarfilm, Deutschland 2002, 81 Minuten, ab -?
Originaltitel: Golden Lemons; Deutschlandstart: 28.08.2003 (Real Fiction); Regie: Jörg Siepmann; Produktion: Harry Flöter; Buch: Jörg Siepmann; Kamera: Hajo Schomerus; Schnitt: Benjamin Ikes; Ton: Tobi Fleig

mit Die Goldenen Zitronen, Wesley Willis

Offizielle Homepage (Real Fiction de)

Fragt der eine Musiker den anderen: „Wann spielen wir eigentlich ,Totschlag’?“ Sagt der: „Nach ,Postmoderne’.“

Plot: Amerika im Schnelldurchlauf: Die Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen tourt mit dem schizophrenen Rockstar Wesley Willis als dessen Vorband durch die USA. Von San Francisco über Las Vegas bis hin zur mexikanischen Grenze ist die Tour für alle eine Zweckgemeinschaft auf engstem Raum, bei der die Biographien aufeinanderprallen: auf der einen Seite die Goldenen Zitronen, die seit 18 Jahren auf der Nahtstelle zwischen Musik und Politik stehen, auf der anderen Seite Wesley, der auf die Bühne muss, um die Dämonen in seinem Kopf zu beruhigen. 14 Tage amerikanische Provinz, Fastfood, schlechter Kaffe, Begegnungen mit jugendlichen Fans. Ein dokumentarisches Roadmovie, das in jeder Hinsicht von Wesley bestimmt wird, an dem es durch dessen eindringliche Art kein Vorbei gibt.

Kritik: Die größte Überraschung des Films war der Inhalt der Diskussionsrunde nach der Uraufführung auf der Berlinale: Während das Publikum (mich persönlich eingeschlossen) mitgerissen und beeindruckt von dem Film war, kamen die Goldenen Zitronen auf die Bühne, um im Beisein der Filmemacher zu verkünden, dass sie den Film sch**** fänden...
Der Grund dafür war, dass das Endprodukt kaum mehr mit dem Konzept übereinstimmte, das am Anfang festgelegt worden war. Der fertige Film fokussiere nur kleine, beinahe unbedeutende Aspekte der Reise, während andere wichtige Momente und Eindrücke völlig außer Acht gelassen würden. Auch wurde den Filmemachern arge Konventionalität vorgeworfen: Das Material wäre so ausgewählt worden, dass "auf Biegen und Brechen" eine Art Storyline, ein Spannungsbogen und ein Höhepunkt dabei herauskämen. Darüber hinaus wäre eine Szene, die zwischendurch auf der Tour aufkommende Spannungen zwischen den Bandmitgliedern zeigt, missbraucht worden, um den für einen Film notwendigen "good guy" und "bad guy" zu erhalten. Dies sei aber völlig falsch, da sich alle insgesamt gut verstanden hätten und Spannungen auf einer solchen Tour ganz normal seien, besonders, wenn man 14 Tage lang auf engstem Raum zusammenlebt.
Fazit: Die Goldenen Zitronen konnten sich nicht an die hier gezeigte Reise erinnern, und wollten sich zumindest offiziell von dem Film distanzieren.

Aus der Sicht des unbeteiligten Zuschauers lässt sich, wie schon oben angedeutet, das genaue Gegenteil behaupten: Golden Lemons ist ein eindrucksvolles Roadmovie, das vor allem durch die Persönlichkeit des Wesley Willis besticht, um den sich beinahe alles dreht und das Tempo und den Rhythmus des Filmes bestimmt. Über die Frage, ob der nun ein so begnadetes Talent ist, lässt sich sicherlich streiten. Aber darauf kommt es auch nicht wirklich an. Denn die Art, wie Willis von sich und seinen krankeitsbedingten Problemen erzählt, und der Versuch, seiner persönlichen Hölle zu entkommen, geht unter die Haut. Nur über seine Musik schafft er es, sich unter Kontrolle zu bekommen und die Dämonen in seinem Kopf zu beruhigen. Mit seiner Eigenart umzugehen ist für alle Beteiligten nicht immer ganz einfach, trotzdem ist er ein Erlebnis für sich, man kommt weder körperlich noch mental an ihm vorbei und jeder (einschließlich dem Kinozuschauer) will mehr über ihn erfahren, kaum dass er ihn kennengelernt hat.
Von Willis abgesehen hat der Film leider eine große Schwäche: Die Goldenen Zitronen bekommen im Film den Eindruck von Amerika, der sich leider viel zu sehr verbreitet hat und auch oftmals eine schlechte Meinung über die "Amis" zur Folge hat: nämlich den des monotonen Provinzlebens. Der Eindruck der Fast-Food-Gesellschaft und des schlechten Kaffees, der Engstirnigkeit und Primitivität der Amerikaner. Klar, all das gibt es auch, aber das ist nur eine Seite der Medaille und die gibt es bei uns auch. Oder sind wir Deutschen alle Würstchen-mit-Sauerkraut-Esser?
Dennoch hat Golden Lemons durchaus einiges zu bieten: So ist es schon ein eindrucksvolles und sehr interessantes Erlebnis, die Band auf ihrer Reise zu begleiten, ihre Auftritte und die Reaktion des Publikums auf die deutsche Vorband zu erleben, die nicht immer ganz willkommen ist. Immerhin spielen nicht viele deutsche Filme in den USA, so dass man das Land meist nur aus Hollywoods Hochglanzperspektive zu sehen bekommt. Die Beleuchtung der Staaten aus einem völlig anderen Blickwinkel ist da mal etwas nicht Alltägliches. Und damit sind jetzt nicht nur die "Provinzszenen" gemeint.

Fazit: Jedem Nichtbandmitglied der Goldenen Zitronen, Interessenten unabhängiger Filme oder all jenen, die einen authentischen (wenn auch einseitigen) Einblick in die amerikanische Kultur erleben wollen, sei Golden Lemons durchaus zu empfehlen. Ist nur zu hoffen, dass dieser Film nicht dasselbe Schicksal erleidet, wie z.B Gott ist tot oder City of God: Nichtdurchsetzungsfähigkeit und Machtlosigkeit gegenüber den Großproduktionen... 7 von 10 Nichtgläubigen des Rock'n'Roll

Nikolas Mimkes
29.06.2003

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